Einer der ausschlaggebenden Faktoren, weshalb sich Paare trennen sind die Bindungsrepräsentation beider Partner in der aktuellen Paarbeziehung (vgl. Roessler, 2012, S.140). In der Paarforschung werden Vermutungen aufgestellt, dass in der konkreten Paarbeziehung jeweils eigene Bindungssicherheit, unabhängig von der erfahrenen Bindungssicherheit zu den Eltern, entwickelt werden kann. Die Transmissionsforschung liefert hierzu erste Belege (vgl. Schaer, 2012, S.216; vgl. Roessler, 2018, S.140). Dennoch haben die individuell erworbenen Bindungsstile der Partner einen Einfluss auf die Paarbeziehung: Sie beeinflussen die jeweilige Wahrnehmung der Interaktion. Nicht eindeutiges Verhalten der Partner würde von eher unsicher gebundenen Partnern als misstrauisch interpretiert werden, sichere gebundene Partner hingegen deuten diese Interaktionen eher positiv und nicht gegen sie gerichtet. Die verzerrte Wahrnehmung der Gefühle des anderen Partners, führt bei einem unsicheren Bindungstyp verstärkt dazu, die Beziehung in Frage zu stellen, aus dem Verhalten des Partners Trennungsabsichten zu interpretieren, worauf mit Rückzugsverhalten und Feindseligkeit reagiert werde (vgl. Roessler, 2018, S.141). Hierdurch lässt sich vermuten, dass in Abhängigkeit der Bindungsrepräsentanzen der einzelnen Partner, der Grad des Vertrauensniveaus in der Paarinteraktion variieren kann. Zudem geht mit erhöhter Bindungssicherheit, eine erhöhte Emotionsregulationsfähigkeit in der Partnerschaft einher (vgl. Roessler, 2018, S141). Wenn diese Emotionsregulation beeinträchtigt ist, bedeutet das, dass ein Partner bei wahrgenommener Unsicherheit, stärker mit Kampf- oder Fluchtreaktionen reagiert. Es wird zunehmend unwahrscheinlich, dass die beiden Partner fähig sind, sich aufeinander einzustimmen. Es bedarf eines Prozesses der im Sinne der Polyvagaltheorie „Reziprozität“ erfordert: Beide Partner müssen ihre Emotionen so regulieren, damit sie sich nicht bedroht fühlen, sondern dem Gegenüber proaktives Verhalten unterstellen können und sich aufeinander einstimmen können. Diese Fähigkeit des sich aufeinander Einstimmens, von Roessler (2018) auch als „Responsivität“ bezeichnet, wird als Schlüsselvariable angeführt, welche aufkommende Konflikte in der Paarbeziehung bewältigen lassen. Responsivität meint, dass die Partner erreichbar sind für die emotionalen Signale des Anderen und es ihnen möglich ist, auf diese einzugehen und sie dadurch zu regulieren (vgl. Roessler, S,218).
Eine unzureichende Responsivität führt in der Paarinteraktion zu fehlender Bedürfnisäußerung. Wut und Frustration dominieren den Wunsch nach Verbundenheit: Unsicherheit entsteht, welche wiederum Machtkämpfe und forderndes Verhalten provoziert. Diese fehlende Abstimmung ist der ausschlaggebende Faktor, weshalb das Vertrauen in der Paarbeziehung verloren geht (vgl. Gottman, 2017, S.134). Nicht die Häufigkeit der auftretenden Konflikte in der Paarbeziehung, sondern eine reduzierte Abstimmung führen zum Bruch einer Paarbeziehung (vgl. Johnson, 2011, S.47). Eine reduzierte Abstimmung meint im Speziellen misslingende Kommunikationsversuche, die das Gewinnen von Vertrauen verhindern. Gottman beschreibt dysfunktionale Kommunikationsstile durch die „vier apokalyptischen Reiter“ (Gottman 2017, S.66). Diese beinhalten: Kritik als Beschwerde äußern, sich zu rechtfertigen, Verachtung im Sinne von Beleidigungen zu äußern, und den Kontakt zum Partner zu blockieren, auch als „mauern“ bezeichnet. Wenn diese Gesprächsarten die Interaktion der Paarbeziehung charakterisieren, droht die Beziehung zu scheitern (vgl. Gottman 2017, S.66 – S.70).
In einer aktuellen Studie, zur Erforschung der objektiven Messung des Vertrauensniveaus in Paarbeziehung, werden die verschiedenen wissenschaftlich relevanten Faktoren für Vertrauen in der Paarbeziehung zusammengefasst. Hierzu zählen das Vertrauen die Zuversicht einer Person beinhaltet, das persönliche Bedürfnisse seitens der Person der sich anvertraut wird erfüllt werden. Zudem beinhaltet es die Bereitschaft sich für die Beziehung mit individuellen Ressourcen zu engagieren. Zuletzt wird angeführt, das Vertrauen in der Partnerschaft ein Risiko beinhaltet, dass die Person, der sich anvertraut wird, die Investitionen des/der Anderen missachtet (Koller, 1988, S.265-276 in Kleinert at al., 2020, S.2).
Die Autoren dieser Studie kritisieren jedoch, dass die berichteten Faktoren, welche das Vertrauen beeinflussen sehr unspezifisch sind. Eine spezifischere Beschreibung dessen was Vertrauen in der Paarbeziehung ausmacht, liefert John Gottman. Er ist einer der bedeutsamsten Paarforscher und hat sich die Ergründung dessen was Paare zusammenhält, zur Lebensaufgabe gemacht. Der Experte der Paarbeziehung liefert aus jahrelanger wissenschaftlicher Beobachtung von Paaren eine detaillierte Beschreibung der Interaktionen, die in der Paarbeziehung den Grad an Vertrauen beeinflussen. Er betrachtet Vertrauen nicht als Persönlichkeitsmerkmal, sondern interaktionell, als ein veränderbarer und erwerbbarer Zustand zwischen zwei Partnern. Vertrauen bedeute nicht die Bedürfnisse des Anderen über die Eigenen zu stellen, vielmehr betrachtet Gottman Vertrauen im Sinne des Nashgleichgewichts aus der Perspektive der Spieltheorie nach John Nash . Beim sog. Nashgleichgewicht erhalten beide beteiligten „Spieler“ am Ende den maximalen Gewinn, keiner kann durch einseitiges Verhalten seinen Gewinn mehr erhöhen. In der Paarbeziehung sei es ähnlich, es gehe zusätzlich darum nicht nur die Motivation zu haben, den eigenen Gewinn zu erhöhen, sondern auch den des Partners. Hierfür sei Vertrauen notwendig. (Vgl.Gottman 2017, S.26 – S.27). Gottman definiert Vertrauen in der Paarbeziehung als „(…) ein ganz bestimmter Zustand, bei dem beide Seiten bereit sind zum Wohl des Partners das eigene Verhalten zu ändern. Je mehr Vertrauen in einer Beziehung vorhanden ist, umso mehr achtet man aufeinander und findet Rückhalt im Partner.“ (Gottman, 2017, S.26). Dazu gehöre zudem das sich gegenseitige wohlwollendes Beziehen auf den Erfolg und Misserfolg des/der Partners:in (Vgl. S.26).
Die „Abstimmung“ sei dabei das Verhalten beider Partner, welches entscheidend sei, damit Vertrauen in der Partnerschaft etabliert und langfristig erhalten werden kann. Mit „Abstimmung“ meint Gottman „(…) das Bedürfnis und die Fähigkeit, das Innenleben des Partners zu verstehen und zu respektieren.“ (Gottman 2017, S.57), wird das Verstandene liebevoll kommuniziert entstehe Intimität in der Beziehung (Vgl. Gottman 2017, S.126). Bei mangelnder Abstimmung sei es den Partnern nicht möglich sich gegenseitig zu verstehen und zu unterstützen (vgl Gottman 2017, .S.57). Momente in denen die Abstimmung in der Paarbeziehung zum Vorschein kommen bezeichnet Gottman als die „Schiebetür-Momente“, nach dem Film „sliding doors“. In diesem Moment zeige ein/e Partner:in ein Bedürfnis und der Andere hat die Entscheidungsmöglichkeit, die Tür auf zu schieben und sich auf das Bedürfnis des Partners zu beziehen, oder sich abzuwenden. Das sich dem Partner Zuwenden ist nach Gottman der entscheidende Faktor um Vertrauen zu entwickeln und zu leben. Für diese Schiebetürmomente liefert Gottman ein Beispiel aus seiner eigenen Beziehung:
„One night, I really wanted to finish a mystery novel. I thought I knew who the killer was, but I was anxious to find out. At one point in the night, I put the novel on my bedside and walked into the bathroom. As I passed the mirror, I saw my wife’s face in the reflection, and she looked sad, brushing her hair. There was a sliding door moment. I had a choice. I could sneak out of the bathroom and think, “I don’t want to deal with her sadness tonight, I want to read my novel.” But instead, because I’m a sensitive researcher of relationships, I decided to go into the bathroom. I took the brush from her hair and asked, “What’s the matter, baby?” And she told me why she was sad.
Now, at that moment, I was building trust; I was there for her. I was connecting with her rather than choosing to think only about what I wanted. These are the moments, we’ve discovered, that build trust.“ (John Gottman on Trust and Betrayal”, 28. Oktober 2011, https://greatergood.berkeley.edu/article/item/john_gottman_on_trust_and_betrayal)
Dabei betont Gottman die Bedeutung unserer Reaktionen in solchen „Schiebetür-Momenten“. Häufen sich solche Momente, in denen der Partner nicht auf das Bedürfnis des Anderen eingeht (sich wieder dem Krimi zuwendet, anstatt der traurigen Frau), schleichen sich Risse in die Verbundenheit, mindestens einer der beiden Partner beginne an seinem Status zu zweifeln und die Beziehung drohe zu scheitern. Diese Risse würden sich dann noch beheben lassen, in dem der Partner, bei Konfrontation mit dem frustrierten Bedürfnis des Anderen, ihn wahrnimmt und für sein Verhalten Verantwortung übernimmt (Vgl. Gottmann, 2017. S.59). Diese Fähigkeit, auf die negativen Affekte des Partners einzugehen, sei entscheidend für eine stabile Paarbeziehung und dem Erhalt von Vertrauen (Vgl., Gottman in Roesler 2018, 149-150). Ein Schüler von Gottman hat das sich positive Zuwenden in diesen „Schiebetürmomenten“ als Einstimmen bezeichnet, in Englisch „attune“ und genauer beschrieben. Attune beinhaltet nach Dan Yoshimoto: (direkt zitieren auf englisch, indirekt auf deutsch)
Gottman betont, dass es bei diesem Prozess der Abstimmung darum gehe, den Partner zu verstehen, seine Gefühle zu akzeptieren und Unterstützung zum Ausdruck zu bringen.
Ester Perel eine renommierte Paartherapeutin führt ähnliche Faktoren an, welche das sich Einstimmen auf den anderen Partner ausmachen: dem Anderen Respekt, Fairness, Einfühlungsvermögen und Aufrichtigkeit zu zeigen. Zusätzlich gehöre dazu, dass Paare tagsüber offen über ihre Gedanken und Gefühle sprechen, dies könne ein hohes Maß an Vertrauen und Verbindung herstellen. In sexueller Hinsicht ermögliche die Vertrautheit, dem Partner das Gefühl angenommen zu sein, wie er ist. In dieser Vertrautheit entspringe auch die Möglichkeit sexuelles Verlangen zu artikulieren (vgl. Love Patricia in Perel, 2021, S.50). Aus den Erkenntnissen Gottmans und den Beschreibungen Patricia Love geht hervor, durch welches Verhalten sich Vertrauen in der Partnerschaft ausdrückt und durch welche Gesten es bewusst, oder unbewusst wahrgenommen werden kann.
<< In diesem Augenblick, überall auf der Welt, betrügt gerade jemand oder wird jemand betrogen.>>. (Perel, 2017, S.17)
Sexuelle Untreue ist ein weit verbreitetes interkulturelles Phänomen welches gesellschaftliche Sanktionen nach sich zieht (Clement, 2009, S.13). In neun Ländern dieser Welt kann Frauen die Todesstrafe wegen „Unzucht“ drohen (Perel et al., 2020, S.36). In der heutigen Zeit habe ein Wandel der öffentlichen Sexualmoral stattgefunden. In öffentlichen Medien steige die Toleranz für sexuelle Untreue, beispielsweise würden in Talkshows Bekenntnisse zur Untreue vermehrt inszeniert werden. Diese öffentliche Lockerung der Sexualmoral bilde jedoch nicht die Realität im privaten Leben ab. Dort stelle sich die Außenbeziehung als die schwerste Bedrohung einer Paarbeziehung dar (Retzer, 2015, S.264).
Die „große Liebe“ eine romantische Illusion? Paare leben heutzutage in dem Spannungsfeld der „Faszination des romantischen Ideals“ und der sich abbildenden Realität, des Scheiterns, der Endlichkeit von Paarbeziehungen. Die Vorstellungen der idealen romantischen Beziehung beinhalten: „Leidenschaft, Verlässlichkeit, Nähe, Gemeinsamkeit, Kinder, Erotik. Gemeinsam alt werden. Und alles nur mit einer Person und das für immer“ (Clement, 2009. S.25).
Die Unendlichkeit der Paarbeziehung sei heute eine Ausnahme geworden. Der Begriff „Lebensabschnittspartner“ würde die Paarbeziehung im 21. Jahrhundert treffender beschreiben (Clement, 2009, S.26). Damit sind die Merkmale der Romantik in der heutigen Paarbeziehung unterrepräsentiert. Paare trennen sich häufiger und nicht selten ist Untreue der Grund dafür. In der aktuellen Literatur zeigen sich wenig repräsentative Zahlen bzgl. des Auftretens von Untreue. Als Gründe werden hierfür wenige empirische Belege angezeigt, es wird unterstellt, dass der oder die untreue Partner:in selbst bei einer Befragung gewillt ist, die Untreue zu verheimlichen (Retzer, 2015, S. 263; Perel, 2017, S.35).
Die Tendenzen anonymer Umfragen ergeben, dass sich 90% der Männer und 75% dazu bekennen in ihrem Leben schon einmal fremdgegangen zu sein. In jeder zweiten Ehe sei Untreue schon einmal aufgetreten (Perel et al., 2020, S.35). Die vermuteten Häufigkeiten des Auftretens von Untreue und deren Potenzial die gemeinsame Beziehung, den Selbstwert und das Leben einer Person zu zerstören, zeigen die Bedeutsamkeit sich mit dem Umgang der Untreue Auseinanderzusetzen. Die durch Untreue hervorgerufene Krise kann im Kontrast dazu gleichsam eine konstruktive Wirkung erreichen, indem man lerne die Krise als Chance die etwas Gutes hervorbringe zu betrachten (Perel et al., 2020, S.23).